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Lehrstuhl A für Mathematik, RWTH Aachen

Analysis und Zahlentheorie

Prof. Dr. A. Krieg

Elementare Wege zur mathematischen Modellbildung

Populationsmodelle

von Bernd Gotzen und Christina Roeckerath

Im Folgenden wird ein Modell vorgestellt, welches die Entwicklung von einzelnen oder zwei interagierenden Populationen abbildet. Es handelt sich um ein einfaches, stochastisches Konzeptmodell, in dem die Entwicklung der Populationen unter Einbeziehung verschiedener intra- und ggf. interspezifischer Wechselbeziehungen, wie Interferenz- und Ausbeutungskonkurrenz, Räuber-Beute, Symbiose oder Parasitismus, abgebildet wird. Da der Lebensraum der Populationen auf einem Feld mit einer endlichen Anzahl von Kästchen abgebildet wird, wird das Modell im Folgenden als Kästchenmodell bezeichnet. Das Zusammenleben der Individuen wird auf dem Feld unter Berücksichigung der für die Fortpfanzung der Individuen relevanten Eigenschaften nachgespielt, woraus sich die Entwicklung der Populationen ergibt. Es handelt sich daher um ein bottom-up Modell.

Im Rahmen der Dissertationen Elementare Wege zur mathematischen Modellbildung : Fallbeispiele aus Biowissenschaften und Chemie von B. Gotzen [1] und Wechselwirkung von Populationen in einem begrenzten Lebensraum - Modellierung, Simulation und mathematische Analyse im Unterricht von C. Roeckerath [2] wurde Unterrichtsmaterial zum Kästchenmodell entwickelt. Dieses Umterrichtsmaterial beinhaltet unter anderem eine Simulationssoftware, welche eine komfortable Durchführung von Simulationen anhand des Kästchenmodells im Unterricht ermöglicht.

Das Kastchenmodell basiert auf Forschungsergebnissen, die 2003 von den Ökologen A. Johansson und D.J.T. Sumpter [3] vorgestellt wurden. Im Folgenden soll Schülern und Studenten, die über mathematische Kenntnisse auf Abiturniveau verfügen, ein Zugang zu diesen Inhalten ermöglicht werden und somit anhand dieses authentischen Modells ein Einblick in aktuelle Forschung geboten werden.

Inhaltsverzeichnis

  1. Motivation
  2. Beobachtungen in realen Ökosystemen und idealisierte Beschreibung der Populationen
    1. Intraspezifische Interaktionen
    2. Interspezifische Interaktionen
  3. Modell
    1. Modellierung intraspezifischer Interaktionen
    2. Modellierung interspezifischer Interaktionen
  4. Simulationssoftware
  5. Gleichungen zur mathematischen Beschreibung
  6. Entdeckungen
  7. Unterrichtsmaterialien
  8. Quellen

Motivation

Die Behandlung von Modellen, die wie in diesem Fall aus einer Wissenschaft stammen, verbunden mit der Thematisierung des Modellbildungsprozesses im Unterricht vermittelt Schülern die Unverzichtbarkeit und Relevanz der Mathematik bezüglich anderer Wissenschaften. Ziel des vorgestellten Unterrichtsmaterials ist es, Antworten auf die klassische und berechtigte Schülerfrage Wozu braucht man das alles überhaupt? in Bezug auf viele mathematische Inhalte zu geben.

Beobachtungen in realen Ökosystemen und idealisierte Beschreibung der Populationen

Modelliert werden soll die Entwicklung von einzelnen oder zwei interagierenden Populationen. Als erster Modllierungsschritt wird ausgehend von Beobachtungen in realen Ökosystemen eine idealisierte Beschreibung der Populationen bezüglich der für ihre Entwicklung relevanten Eigenschaften vorgenommen

Modelliert werden Populationen, die einen Lebensraum mit beschränkten Ressourcen bewohnen. Vereinfachend wird davon ausgegangen, dass äußere Umwelteinflüsse, wie Klima, Jahreszeit und Nahrung konstant sind. Bei den Individuen wird nicht zwischen den Geschlechtern unterschieden, so dass jedes Individuum Nachkommen hervorbringen kann. Weiter durchlaufen die Individuen innerhalb ihres Lebens zwei Phasen, die Interaktions- und die Reproduktionsphase.

Die Interaktionsphase beinhaltet den Zeitraum von der Erzeugung bis zur Reproduktionsreife der Individuen. Diese Phase ist durch eine gewisse Immobilität der Individuen gekennzeichnet, wie es bei abgelegten Eiern, ins Erdreich gelangten Samen oder Parasiten in bzw. auf einem Wirt der Fall ist. Die heranwachsenden Individuen treten mit Individuen in ihrer unmittelbaren Nähe in Interaktion. Dabei unterscheidet man intraspezifische und interspezifische Interaktionen. Bei einer intraspezifischen Interaktion tritt ein Individuum mit einem Individuum seiner eigenen Art (z.B. Konkurrenz um Nahrung, Lebensraum, Licht) und bei einer interspezifischen Interaktion mit einem Individuum einer anderen Art (z.B. Räuber-Beute oder symbiotisches Verhalten) in Wechselbeziehung. Vereinfachend wird davon ausgegangen, dass nur diese Interaktionen über die Reproduktionsfähigkeit der Individuen entscheiden. Dass ein Individuum aus anderen Gründen, wie zum Beispiel Krankheit oder Unfruchtbarkeit, vor seiner Reproduktion sterben könnte, wird nicht mit einbezogen.

In der Reproduktionsphase reproduzieren sich die Individuen, die während der Interaktionsphase die Reproduktionsfähigkeit erlangt haben. Dabei wird idealisiert davon ausgegangen, dass sie stets eine feste Anzahl von Nachkommen erzeugen. Weiter wird die Annahme gemacht, dass der Nachwuchs zufällig über den Lebensraum verteilt wird. Eine solche Annahme ist zum Beispiel im Falle von Samenflug beim Löwenzahn oder weitgehend zufälliger Ablage von Eiern bei Insekten gerechtfertigt.

Im Laufe der beiden Entwicklungsphasen sterben alle Individuen der Elterngeneration. Wir betrachten also eine diskrete, nicht überlappende Generationenfolge, wie es bei Insekten oder einjährigen Pflanzen der Fall ist.

Wie oben beschrieben, gehen wir davon aus, dass die Individuen intraspezifisch und im Falle eines Systems mit zwei Populationen auch interspezifisch interagieren. Im Modell sollen unterschiedliche Ausprägungen beider Interaktionsformen berücksichtigt werden. Dabei muss, da gemäß des Modellierungsziels die Entwicklung der Populationen abgebildet werden soll, aufgrund der diskreten, nicht überlappenden Generationenabfolge nur die Auswirkung der Interaktionen auf die Reproduktionsfähigkeit der Individuen erfasst werden. Im Folgenden werden unterschiedliche in der Ökologie beobachtbare Interaktionsphänomene beschrieben und als erster Schritt zum Modell idealisiert dargestellt.

Intraspezifische Interaktionen

Intraspezifische Interaktionen treten meistens als Konkurrenz um Ressourcen, wie Nahrung, Lebensraum oder Sonnenlicht auf. Die Verfügbarkeit dieser Ressourcen ist wesentlich dafür verantwortlich, ob ein Individuum die Reproduktionsreife erreicht. Es sollen zwei Ausprägungen von intraspezifischer Konkurrenz einbezogen werden: Ausbeutungskonkurrenz und Interferenzkonkurrenz, welche in der englischen Fachliteratur auch als scramble und contest bezeichnet werden [4].

Tölpelkolonie
Toelpelkolonie

Ausbeutungskonkurrenz (auch exploitative Konkurrenz genannt) kann auftreten, wenn Individuen eine beschränkte Menge an Ressourcen teilen müssen. In diesem Fall bewirkt eine hohe Populationsdichte einen Mangel an Ressourcen, der sich negativ auf ihre Reproduktionsfähigkeit auswirkt. Der Mangel an Ressourcen kann sich auf die Verfügbarkeit von Nahrung oder von Brutplätzen beziehen. Beispielsweise nimmt bei der Kohlmeise (Parus major) die Anzahl der gelegten Eier bei zunehmender Populationsdichte aufgrund der geringeren Nährstoffverfügbarkeit ab. Die Maissorte Zea mays produziert bei zunehmender Organismendichte pro Kolben weniger Samen. Basstölpel (Sula bassana) nisten auf Felsinseln, die eine begrenzte Anzahl an Brutplätzen bieten. Bei einer hohen Populationsdichte konkurrieren die Individuen innerhalb der Kolonie um die Brutplätze.

Die exploitative Konkurrenz wird als Vorbereitung zur Modellierung wie folgt vereinfacht dargestellt:

Phänomen 1
Herrscht unter den Mitgliedern einer Population exploitative Konkurrenz, so wirkt sich eine intraspezifische Interaktion negativ auf die Reproduktionsfähigkeit eines Individuums aus.

Juglonversuch
Keimung mit Juglon (links) und ohne (rechts)

Die Interferenzkonkurrenz ist eine aktive Form des Kampfes um Ressourcen. Bei einer hohen Populationsdichte setzt sich ein dominantes Individuum durch. Ökologische Beispiele dafür sind Kainismus oder Allelopathie. Beim Kainismus töten sich Junge gegenseitig, bis nur noch das stärkste Junge übrig ist. Dies ist bei vielen Raubvögeln, wie dem Steinadler oder der Rohrweihe der Fall. Im Falle von Allelopathie setzen Pflanzen wie der Walnuss- und der Apfelbaum Gift ein, um Konkurrenten (auch arteigene) an der Keimung zu hindern. Der Walnussbaum sondert über seine herabfallenden Blätter das sogenannte Juglon in den Boden ab. Dieser Stoff hindert andere Pflanzen daran zu keimen. Der Apfelbaum gibt über seine Wurzeln Phlorizin in den Boden ab. Durch die Mikroflora des Bodens aktiviert entstehen Phloroglucin, Phloretin und phenolische Säuren, die insbesondere andere Apfelkerne an der Keimung hindern.

Die Interferenzkonkurrenz wollen wir folgendermaßen vereinfacht darstellen:

Phänomen 2
Herrscht unter den Mitgliedern einer Population Interferenzkonkurrenz, so gibt es im Falle einer intraspezifischen Interaktion ein dominantes Individuum, welches die Reproduktionsfähigkeit erreicht. Individuen, die mit diesem dominanten Individuum interagieren, erreichen hingegen die Reproduktionsreife nicht.

Interspezifische Interaktionen

In der Natur lässt sich eine scheinbar unbegrenzte Anzahl an unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens verschiedener Arten und somit von interspezifischen Interaktionen beobachten. Die prominentesten Beispiele sind sicherlich Räuber-Beute-, Konkurrenz-, Symbiose- und Parasitismus-Beziehungen. Weniger bekannt ist beispielsweise die Parabiose. Hier wirkt sich die Interaktion für einen der beiden Partner positiv aus. Der andere Partner wird jedoch nicht beeinflusst. Beispiele sind Tiere, die sich von Nahrungsresten anderer Tiere ernähren, wie zum Beispiel Lotsenfische, die Raubfische begleiten. Als Gegenstück zur Pararbiose kann der Amensalismus, bei dem sich die Interaktion auf einen der beiden Partner negativ auswirkt, gesehen werden. Der andere Partner wird wie bei der Parabiose nicht beeinflusst. Beispielsweise leiden Moose im Buchenwald unter Lichtmangel, da sie von dem schwer zersetzbaren Laub der Buche bedeckt werden. Einen nachweisbaren Einfluss auf die Buchen haben die Moose hingegen nicht.

Auch wenn die Vielfalt der unterschiedlichen Lebensgemeinschaften ausgesprochen groß ist, lässt sich für alle Formen des Zusammenlebens eine Gemeinsamkeit feststellen: Für ein Individuum wirkt sich die Interaktion mit einem Individuum einer anderen Art entweder positiv, negativ oder überhaupt nicht aus. Dabei kann das Ausmaß der Auswirkung variieren. Diese Beobachtung soll von unserem Modell abgebildet werden. Modelliert werden sollen interspezifische Interaktionen, die sich, wie in Phänomen 0, +, - und - - vereinfacht zusammengefasst, auf die Individuen einer Population auswirken.

Phänomen 0
Interaktionen mit Individuen der anderen Spezies wirken sich nicht auf die Reproduktionsfähigkeit eines Individums aus.

Phänomen +
Interaktionen mit Individuen der anderen Spezies wirken sich positiv auf die Reproduktionsfähigkeit eines Individums aus.

Phänomen -
Interaktionen mit Individuen der anderen Spezies wirken sich negativ auf die Reproduktionsfähigkeit eines Individuums aus.

Phänomen --
Interaktionen mit genau einem Individuum der anderen Spezies beeinträchtigt die Reproduktionsfähigkeit eines Individuums noch nicht. Interaktionen mit genau einem Individuum der anderen Spezies dagegen wirken sich negativ auf die Reproduktionsfähigkeit eines Individuums aus. (Der Befall von nur einem Parasit beeinträchtigt den Wirt noch nicht.)

Modell

Das Kästchenmodell bildet das im vorangegangenen Kapitel beschriebene, idealisierte System ab. Dazu werden bei der Herleitung des Modells, wie im Folgenden dargestellt wird, noch weitere Vereinfachungen und Annahmen notwendig.

  1. Der Lebensraum wird in Bereiche eingeteilt, die im Modell durch Kästchen abgebildet werden. Die Kästchen haben im Rahmen des Modells mehrere Funktionen, die im Folgenden deutlich werden.

    Kästchenmodell

  2. Den beiden Arten werden zur Unterscheidung im Modell die Farben rot und blau zugeordnet

    Kästchenmodell

  3. Für jeden Bereich des Lebensraumes werden die sich darin befindenden Individuen im Modell durch einen je nach Art gefärbten Punkt im entsprechenden Kästchen dargestellt

    Kästchenmodell

  4. Interaktionsphase: Wir nehmen an, dass die Individuen, die sich gemeinsam innerhalb eines Kästchens befinden, miteinander interagieren. Diese Annahme ist sinnvoll, da Interaktionen von Individuen räumliche Nähe voraussetzen. Weiter gehen wir vereinfachend davon aus, dass keine Interaktionen zwischen Individuen verschiedener Kästchen stattfinden können. Da die Individuen, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, während der Interaktionsphase räumlich gebunden sind, findet die Interaktion zwischen Individuen eines Kästchens zwingend statt und kann nicht, zum Beispiel durch Flucht, verhindert werden. Es wird kästchenweise entschieden, wie sich die Interaktionen der Individuen auf ihre Reproduktionsfähigkeit auswirken. Eine rosafarbene Einfärbung eines Kästchens bedeutet Reproduktion für die rote Population und eine hellblaue Einfärbung für die blaue Population.

    Kästchenmodell

    Es wird vereinfachend davon ausgegangen, dass in einem Kästchen höchstens so viele Ressourcen vorhanden sind, dass sich je Spezies maximal ein Individuum reproduzieren kann. Ein Kästchen steht folglich auch für einen gewissen Ressourcenvorrat. Womit die Eigenschaft abgebildet wird, dass der Lebensraum des Systems über eine beschränkte Menge an Ressourcen verfügt.
  5. Reproduktionsphase (Teil 1): Die Größe der Nachfolgegeneration lässt sich aus der in der Interaktionsphase ermittelten Anzahl an Reproduktionen und den Reproduktionsfaktoren bestimmen. Der Reproduktionsfaktor gibt je Spezies die Anzahl an Nachkommen pro Reproduktion an. Im vorangegangenen Kapitel haben wir vereinfachend angenommen, dass der Reproduktionsfaktor konstant ist.

    rot: 3 Reproduktionen und Reproduktionsfaktor 3 ergeben 9 Nachkommen
    blau: 6 Reproduktionen und Reproduktionsfaktor 2 ergeben 12 Nachkommen

  6. Reproduktionsphase (Teil 2): Aufgrund der separierten Generationenfolge, leben in der nächsten Generation keine Individuen der aktuellen Generation mehr. Deshalb werden alle Punkte vom Feld gelöscht. Die im vorangegangenen Kapitel beschriebene zufällige Verteilung der Nachkommen im Lebensraum wird folgendermaßen realisiert: Es wird eine entsprechende Anzahl an Punkten stellvertretend für die Nachkommen zufällig auf die Kästchen verteilt. Dabei wird eine Gleichverteilung zu Grunde gelegt. Das bedeutet, dass es für jedes Kästchen gleich wahrscheinlich ist, von einem bestimmten Nachkommen belegt zu werden. Diese Eigenschaft lässt sich zum Beispiel wie folgt realisieren: Die Kästchen werden durchnummeriert. Für die Auswahl eines Kästchens bei der Ablage eines Nachkommens kann, wie beim Lotto, blind aus einer Urne mit einer entsprechenden Anzahl an durchnummerierten Kugeln gezogen werden. Die Nummer der gezogenen Kugel bestimmt dann das Kästchen.
  7. Wiederholung der Schritte 4-7.

Die Art der Interaktion einer zu modellierenden Population lässt sich vereinfacht durch je eines der im vorangegangenen Kapitel angeführten intra- bzw. interspezifischen Interaktionsphänomene beschreiben. Sowohl die intra- als auch die interspezifischen Interaktionen eines Individuums entscheiden darüber, ob es die Reproduktionsreife erreicht. Bei der Modellierung der Interaktionsphase haben wir festgelegt, dass es je Spezies pro Kästchen maximal eine Reproduktion geben kann. Damit aus einem Kästchen ein reproduktionsfähiges Individuum hervorgehen kann, müssen folglich zwei Bedingungen erfüllt sein. Eine Bedingung bezieht sich auf die Anzahl der Individuen der eigenen Art und die andere Bedingung bezieht sich auf die Anwesenheit von Individuen der anderen Art im Kästchen. Wir haben also eine intraspezifische Bedingung und eine interspezifische Bedingung, die beide erfüllt sein müssen, damit eine Reproduktion in einem Kästchen stattfinden kann. Im Folgenden nennen wir die intraspezifische Bedingung Intra und die interspezifische Bedingung Inter.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass eine Reproduktion einer Spezies in einem Kästchen nur dann stattfindet, wenn Intra und Inter erfüllt sind.

Reproduktionsmodell
Sind in einem Kästchen Intra und Inter für die Reproduktion einer Spezies erfüllt, dann bringt es genau ein reproduktionsfähiges Individuum dieser Spezies hervor.

Modellierung intraspezifischer Interaktionen

Gemäß des Abschnitts Intraspezifische Interaktionen sollen zwei Arten von Intra modelliert werden: Ausbeutungs- und Interferenzkonkurrenz. Bei der in Phänomen 1 beschriebenen Ausbeutungskonkurrenz wirkt sich eine hohe Populationsdichte negativ auf die Reproduktionsfähigkeit aus.

Intra 1
Nur ein durch die eigene Spezies einfach besetztes Kästchen (genau ein Individuum der eigenen Spezies) kann ein reproduktionsfähiges Individuum hervorbringen.

Bei der Interferenzkonkurrenz, wie sie in Phänomen 2 beschriebenen ist, wirkt sich eine hohe Populationsdichte nicht negativ aus, weil es Individuen gibt, die sich aktiv gegen ihre Konkurrenten wehren und somit eine Reproduktion ermöglichen. Bei einer hohen Dichte setzt sich ein Individuum durch.

Intra 2
Nur ein mindestens einfach durch die eigene Spezies besetztes Kästchen kann ein reproduktionsfähiges Individuum hervorbringen.

Modellierung interspezifischer Interaktionen

Im Folgenden werden fünf verschiedene Bedingungen für die Reproduktion einer Spezies in Abhängigkeit ihrer interspezifischen Wechselbeziehungen definiert.

Wirkt sich die Anwesenheit der anderen Spezies im Kästchen nicht aus, so ist die Spezies unabhängig von der anderen Spezies. Dieser in Phänomen 0 beschriebene Zusammenhang lässt sich durch Inter 0 modellieren.

Inter 0
Die Reproduktion der Spezies ist in jedem Kästchen unabhängig von der Anwesenheit von Individuen der anderen Spezies im Kästchen.

In Phänomen + wurde der Fall beschrieben, dass die Spezies von einer anderen Spezies abhängig ist. Dann wirkt sich die Anwesenheit der anderen Spezies im Kästchen positiv auf die Reproduktion aus. Im Modell lässt sich dieses Verhältnis durch Inter + abbilden.

Inter +
Die Spezies kann sich nur reproduzieren, wenn mindestens ein Individuum der anderen Spezies im Kästchen vorhanden ist.

In Phänomen - wurde der Fall beschrieben, dass eine Spezies durch die andere Spezies beeinträchtigt wird. In diesem Fall wirkt sich die Anwesenheit von Individuen der anderen Spezies im Kästchen negativ auf die Reproduktion aus. Dieses lässt sich mit Inter - beschreiben.

Inter -
Die Spezies kann sich nur reproduzieren, wenn kein Individuum der anderen Spezies im Kästchen vorhanden ist.

Wenn eine geringere Beeinträchtigung durch die andere Spezies, wie in Phänomen -- beschrieben besteht, dann lässt sich das durch Inter - - modellieren.

Inter--
Die Anwesenheit von höchstens einem Individuum der anderen Spezies im Kästchen beeinträchtigt die Reproduktion noch nicht. Befindet sich mehr als ein Individuum der andern Spezies im Kästchen, so kommt es nicht zur Reproduktion.

Anhand der Interaktionsbedingungen kann nun ein Reproduktionsmodell für eine Population festgelegt werden. Zum Beispiel kann mit Intra 2 & Inter + das Reproduktionsmodell einer Räuberpopulation, die intraspezifisch Interferenzkonkurrenz unterhält, beschrieben werden.

B. Gotzen hat sich in seiner Dissertation [1] mit der Entwicklung von Populationen befasst, deren Individuen untereinander aber nicht mit Individuen einer anderen Art interagieren, also mit der Entwicklung einzelner Populationen. Im hier beschriebenen Kästchenmodell muss zur Abbildung dieser Populationen als interspezifische Reproduktionsbedingung Inter 0 gewählt werden. Für Systeme mit einer Population ergeben sich folglich die beiden Reproduktionsmodelle Intra 1 & Inter 0 und Intra 2 & Inter 0, die in [1] und in [5] als Konkurrenzmodell 1 und 2 bezeichnet werden. Daran anknüpfend, ist C. Roeckerath in ihrer Dissertation zu Systemen zweier interagierender Populationen übergegangen. Zum Beispiel kann mit Intra 2 & Inter + das Reproduktionsmodell einer Räuberpopulation, die intraspezifisch Interferenzkonkurrenz unterhält, beschrieben werden.

Simulationssoftware

Zur Arbeit mit dem Kästchenmodell wurde eine Simulationssoftware entwickelt, die neben Simulationen auf Basis des Kästchenmodells auch eine Herleitung von mathematischen Beschreibungen auf Schulniveau ermöglicht. Die Software besteht aus drei Tools: Das Basistool stellt die Entwicklung der Populationen im Kästchenmodell anschaulich dar, das Langzeittool bildet die Entwicklung der Populationen über einen längeren Zeitraum hinweg in einem Koordinatensystem ab und das Reproduktionstool dient der Herleitung einer mathematischen Beschreibung für die Populationsentwicklungen.

Starten Sie die Software hier!

Gleichungen zur mathematischen Beschreibung

Das Reproduktionstool ermöglicht die Herleitung von Differenzengleichungen zur mathematischen Beschreibung der erwarteten Populationsentwicklungen mit elementaren Mitteln. Dabei wird das stochastische Kästchenmodell mit einem gewissen Informationsverlust in ein deterministisches Modell in Form von Differenzengleichungen überführt. Eine detaillierte Beschreibung der Herleitung kann [1] und [5] (für Systeme mit einer Population) bzw. [2] (für Systeme mit einer oder zwei Populationen) entnommen werden.

Im Falle des Reproduktionsmodells Intra 1 + Inter 0 erhält man zum Beispiel für die mittlere Anzahl der Individuen S(t) in der Generation t

S(t+1) = S(t)·e-r·S(t) / N

Dieses Resultat entspricht dem Ricker-Modell (vgl. [6]).

Für ein System mit dem Reproduktionsmodells Intra 2 + Inter 0 ergibt sich

S(t+1) = N (1 - e-r·S(t) / N)

Dieses Modell ist ebensfalls in der biologischen Literatur bekannt (vgl. [7]).

Entdeckungen

Sowohl durch Simulationen anhand der Software als auch durch mathematische Analysen an den Differenzengleichungen können diverse bekannte, ökologische Phänomene, wie zum Beispiel die Koexistenz zweier Populationen, das Konkurrenz-Ausschluss Prinzip oder der Allee-Effekt, entdeckt werden (Siehe dazu Teil II und III aus [2]).

Quellen

  1. abcd B. Gotzen: Elementare Wege zur mathematischen Modellbildung : Fallbeispiele aus Biowissenschaften und Chemie.
    Dissertation, Aachen 2010.
  2. abc C. Roeckerath: Wechselwirkung von Populationen in einem begrenzten Lebensraum - Modellierung, Simulation und mathematische Analyse im Unterricht.
    Dissertation, Aachen 2010.
  3. A. Johansson, D.J.T. Sumpter: From local interactions to population dynamics in site-based models of ecology.
    Theor. Popul. Biol. 64, 497-517 (2003).
  4. A.J. Nicholson: An outline of the dynamics of natural populations.
    Aust. J. Zool 2, 9-65 (1954).
  5. ab B. Gotzen, V. Liebscher, S. Walcher: Populationsmodelle - Mathematische Modellierung an einem Fallbeispiel.
    Math. Semesterber. 55(2), 161-179 (2008).
  6. Ricker, W.E.: Stock and Recruitment.
    J. Fisheries Res. Board Can. 11(5), 559-622 (1954).
  7. Skellam, J.G.: Random dispersal in theoretical populations.
    Biometrika 38, 196-218 (1951).
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