Analysis und Zahlentheorie
Prof. Dr. A. Krieg
von Bernd Gotzen
Auf den hier folgenden Seiten wird dargestellt, wie zwei unterschiedliche mathematische Modelle zur Beschreibung von Populationsentwicklungen entworfen werden können. Die Populationsentwicklung wird anhand von Simulationstools beobachtet. Die mathematischen Fertigkeiten, die bei der Analyse der Simulationsergebnisse notwendig sind, liegen gänzlich im Bereich der Schulmathematik. Der hier dargestellte Modellbildungsprozess soll daher als Anregung und Grundlage für die Vermittlung von Modellierung in schulischer und auch universitärer Mathematik-Ausbildung gesehen werden.
Die hier vorgestellten Inhalte sind eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Dissertation Elementare Wege zur mathematischen Modellbildung : Fallbeispiele aus Biowissenschaften und Chemie von B. Gotzen, die auch in dem Artikel Populationsmodelle - Mathematische Modellierung an einem Fallbeispiel von B. Gotzen, S. Walcher und V. Liebscher veröffentlicht wurden (Siehe Publikationen) .
Die - zumindest in der mathematischen Grundbildung - bekanntesten Modelle zur Beschreibung von Populationen sind die sogenannten Bestandsmodelle:
Das folgende Bild zeigt den typischen Verlauf der Graphen zu den letzten drei Vairanten.
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exponentielles (gelb), beschränktes (rot) und logistisches Wachstum (grün) |
Diese Bestandsmodelle werden häufig an Beispielen aus der Finanzwelt und/oder der Biologie behandelt. Für das lineare Wachstum wird beispielsweise das Sparen mit gleichbleibender Sparrate ohne Verzinsung (Spardose) betrachtet. Das exponentielle Wachstum wird durch die Verzinsung eines Kapitals (mit/ohne) Sparraten veranschaulicht; beschränktes und logistisches Wachstum werden nicht selten durch die Entwicklung von Bakterien mit beschränktem Lebensraum oder begrenzt vorhandener Ressourcen verdeutlicht.
Bei vielen Populationen ist das Verhalten des Bestandes in der Realität aber durch keines der dargestellten Modelle darstellbar. Beispielsweise kann beobachtet werden, dass sich der Bestand von Populationen in einem Zyklus zwischen hohen und niedrigen Individuenzahlen entwickelt. Bei Erklärungsversuchen ist die intraspezifische Konkurrenz als einer der Hauptgründe für diese Entwicklung fest zu machen. Somit ergibt sich als Modellzweck:
Sobald mehrere Spezies in einem engeren System oder auch Ökosystem zusammenleben, kommt es zu gegenseitigen Beeinflussungen. Manche Arten stehen in einem Räuber-Beute-Verhältnis, andere leben in einer Symbiose, wieder andere stehen zueinander in Konkurrenz um den Lebensraum, die Beutetiere oder das Nahrungsangebot. Diese Beziehungen haben unterschiedliche Auswirkungen. Bei Konzentration auf die Konkurrenz können diesbezüglich verschiedene Effekte beobachtet werden. Bevor ein Mathematisches Modell zur Beschreibung von Konkurrenzverhalten innerhalb einer Spezies überhaupt entwickelt werden kann, ist es notwendig, diese Effekte zu beobachten. Generell können bei der intraspezifischen Konkurrenz die Effekte in zwei Typen unterteilt werden:
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Toelpelkolonie |
Bei vielen Populationen ist zu beobachten, dass die Anzahl der Nachkommen bei steigender Dichte zurück geht. Beispielsweise nimmt die Anzahl der Körner auf einem Kolben bei Mais mit zunehmender Dichte ab. Ab einer bestimmten Populationsdichte konnte bei Meisen beobachtet werden, dass die Anzahl der gelegten Eier zurück geht; aufgrund von begrenzter Anzahl an Brutplätzen wird die Nachkommenanzahl bei Toelpeln stark beeinflusst. Ein besonders interessantes Phänomen konnte bei Mäusen entdeckt werden. Wird die Populationsdichte bei ausreichendem Angebot von Nahrung und Wasser angehoben, so führt der vermehrte Stress zur Ausschüttung eines Hormons, das die Fortpflanzungsorgane schrumpfen lässt.
Allgemein können diese Effekte folgendermaßen zusammengefasst werden:
Eine hohe Organismendichte einer Population kann sich negativ auf die individuelle Fortpflanzungsrate auswirken. Bei genügend hoher Dichte pflanzt sich kein Individuum mehr fort.
Bei vielen Greif- und Raubvögeln ist der sogenannte Kainismus zu beobachten. In der Regel legt ein Vogelpaar 2 bis 3 Eier. Im Laufe der Entwicklung der Jungtiere kommt es dann oft dazu, dass das stärkste Jungtier seine Geschwister aus dem Nest wirft oder sie sogar frisst. Dieses Phänomen kann auch bei Sandhaien beobachtet werden. Hier schlüpfen die Jungtiere im Uterus, wo sie sehr schnell damit beginnen, die noch existenten Eier und/oder die Geschwister zu fressen.
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Keimung mit Juglon (links) und ohne (rechts) |
Bei Pflanzen sind sowohl der Walnussbaum als auch der Apfelbaum Gehölze, die mit Hilfe eigener Giftstoffe Konkurrenten (auch arteigene) an der Keimung hindern. Der Walnussbaum sondert über seine herabfallenden Blätter das sogenannte Juglon in den Boden ab. Dieser Stoff hindert andere Pflanzen daran zu keimen. Der Apfelbaum gibt über seine Wurzeln Phlorizin in den Boden ab. Durch die Mikroflora des Bodens aktiviert entstehen Phloroglucin, Phloretin und phenolische Säuren, die insbesondere andere Apfelkerne an der Keimung hindern.
Allgemein können diese Effekte folgendermaßen zusammengefasst werden:
Im direkten Konkurrenzkampf kommt es vor, dass einer und nur einer der Konkurrenten sich durchsetzt und fortpflanzt.
Ausgehend von den Beobachtungen in der Realität kann nun ein Konzeptmodell erstellt werden, auf dessen Basis eine stochastische Simulation entworfen werden kann.
Da es unmöglich ist, alle Faktoren eines Systems in einem Konzeptmodell zu erfassen, müssen starke Vereinfachungen vorgenommen werden. Wie bereits angedeutet liegt die erste Vereinfachung darin, dass bei der Betrachtung der Population lediglich intraspezifische Konkurrenz berücksichtigt werden soll. Ferner wird die Spezies in einem begrenzten Lebensraum betrachtet. Dieser Lebensraum wird durch ein rechteckig ausgerichtetes System von Kästchen modelliert.
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Kästchen |
Die einzelnen Kästchen sind dabei als voneinander getrennt und ohne räumliche Beziehung zu sehen. Im Rahmen der Modellierung einer Population kann jedes einzelne Kästchen dahingehend interpretiert werden, dass es für die zur Reproduktionsfähigkeit eines Individuums notwendigen Resourcen (Lebensraum, Nahrung, Wasser etc.) steht. Die Anzahl der Kästchen gibt dabei die Größe des betrachteten Lebensraumes an und wird mit dem Parameter N bezeichnet.
Die Individuen der modellierten Population werden in dem Konzeptmodell als Punkte dargestellt. Konkurrenz soll demnach dann auftreten, wenn sich in einem Kästchen mehr als ein Individuum befindet. Bezüglich der Reproduktion wird eine weitere Vereinfachung gemacht, die in der Grundannahme zusammengefasst wird:
Ein Individuum ist entweder voll oder nicht reproduktionsfähig. Bei voller Reproduktionsfähigkeit werden genau q Nachfolger produziert.
Die Entwicklung der Populationen wird in diskreten Zeitschritten generationenweise betrachtet. Eine Elterngeneration mit n0 Individuen liefert q·n0 Nachkommen. Diese werden in einem ersten Schritt gleichverteilt auf die N Kästchen verteilt. Je nach betrachteter Konkurrenzauswirkung entstehen dabei n1 reproduktionsfähige Nachkommen. Diese bilden die neue Elterngeneration und liefern q·n1 Nachkommen. Im nächsten Zeitschritt werden diese Nachkommen wieder auf die Kästchen verteilt, wobei die Elterngeneration nicht mehr betrachtet wird. Das folgende Diagramm verdeutlicht diesen schematischen Ablauf.
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Ablaufdiagramm zum Konzeptmodell |
Wie bereits bei der Beobachtung in der Realität festgestellt, kann sich Konkurrenz auf zwei unterschiedliche Arten auswirken. Diese beiden Arten führen zu den folgenden Grundannahmen:
Die einfach besetzten Kästchen, und nur diese, bringen genau ein voll reproduktionsfähiges Individuum hervor.
Der hier beschriebene Fall orientiert sich an der Feststellung, dass sich die Populationsdichte sehr stark auf die Reproduktionsfähigkeit von Indiviuen auswirken kann.
Jedes mindestens einfach besetzte Kästchen bringt genau ein voll reproduktionsfähiges Individuum hervor.
Der hier beschriebene Fall orientiert sich an der Feststellung, dass bei direkter Auseinandersetzung der Konkurrenten nur ein Individuum erfolgreich sein kann.
Das hier entwickelte Konzeptmodell kann nun in Form von computerunterstützenten Simulationstools realisiert werden. Hier können Sie diese Tools testen.
Der oben beschrieben Ablauf wird im Basistool umgesetzt.
Es gibt ein Langzeittool für das Konkurrenzmodell 1 und eins für das Konkurrenzmodell 2.
Das Reproduktionstool dient der Herleitung einer Funktionsvorschrift für die Anzahl an Reproduktionen in Abhängigkeit von der Populationsgröße. Es gibt ein Reproduktionstool für das Konkurrenzmodell 1 und eins für das Konkurrenzmodell 2.
Mit Hilfe der Reproduktionstools und einem geeigneten Tabellenkalkulationsprogramm können Schüler selbstständig die folgenden deterministischen Modelle zur Bescheibung der Populationsentwicklung finden. Eine detaillierte Beschreibung des Verfahrens kann der oben angegebenen Literatur entnommen werden.
B(t) beschreibt den mittleren Bestand der Generation t.
Konkurrenzmodell 1:
Dieses Resultat entspricht dem Ricker-Modell (vgl. Ricker, W.E.: Stock and Recruitment J. Fisheries Res. Board Can. 11(5), 559-622 (1954)).
Konkurrenzmodell 2:
Dieses Modell ist in der biologischen Literatur bekannt (vgl. Skellam, J.G.: Random dispersal in theoretical populations Biometrika 38, 196-218 (1951)).